Teil 1


"So, dass sind dann 273 Euro 25 bei ihnen"
Ich sah die Kassiererin schockiert an. "Wie bitte"?
Sie deutete auf das Kassendisplay. "Hier stehts".
Ich schob den 100 Euro-Schein, mit dem ich vorhatte den kompletten Einkauf zu bezahlen, verschämt in das Portemonnaie-Fach zurück und zückte die Karte. Inständig hoffend, dass das Konto gedeckt ist. Nachdem ich bezahlt hatte, schob ich den Einkaufswagen an die Einpackstation und betrachtete fassungslos den doch recht übersichtlichen Einkauf. Was um alles in der Welt war denn so teuer? Ich sah mir den Kassenbon an und hatte schnell den Schuldigen. Diese elenden Kirschen waren es. 76 Euro 25 für lumpige 1,8 Kg. Das war Wucher. Triumphierend ging ich zur Kasse zurück. Hier stimmt etwas nicht, sagte ich und deutete auf die Kirschen. Die Kassiererin schob ihre Brille zurecht, warf einen Blick auf ein Pappschild und nickte. "Sie haben völlig recht, das passt ja hinten und vorne nicht." Sie griff zum Mikro und sagte: "Die Eins für die sieben bitte, die Eins bitte".
Kurz darauf hörte man eine Tür, dann schlurfende Schritte und ein Typ von 163 cm mit offenem Kittel ging zur Kasse. Er sah mich lüstern an, steckte seinen Schlüssel in die Kasse, drückte eine Taste. Bitte sehr, murmelte er und verdrückte sich wieder. Die Kassiererin gab nun ein paar Zahlen ein. So, das macht dann 4 Euro 07. Ich hatte ihr schon meine Hand entgegengestreckt um das meiner Meinung nach zu viel bezahlte Geld zurückzubekommen.
"Ich muss noch etwas bezahlen?"
"4 Euro 07"
"Aber....."
"Sie hatten mich freundlicherweise darauf aufmerksam gemacht, dass der Preis nicht stimmt. Der aktuelle Tagespreis war noch nicht im System hinterlegt. Das ist nun korrigiert worden. Der heutige Preis ist höher als der von gestern. Die Differenz in ihrem Fall sind eben diese 4 Euro sieben Cent."
Ich zückte das Portemonnaie, zahlte und ging wie betäubt an die Einpackstation. Die hämischen Kommentare aus der Warteschlange machten es nicht besser.
Mir kamen die Tränen. Plötzlich tauchte die Nummer Eins auf und wies mich rasch zurecht. "Hier wird nicht geheult. In unseren Allgemeinen Geschäftsbedingungen steht, dass der Kunde auf dem gesamten Betriebsgelände keinerlei negative Emotionen zeigen darf. Also reißen sie sich zusammen."

Teil 2


So packte ich also meinen Einkauf in meine Taschen und schlurfte gramgebeugt nach Hause. Als ich den Hauseingang betrat brachen alle Dämme und ich heulte wie ein Schlosshund. Oben angekommen stand Nachbarin Pachulke vor ihrer Tür.
"Na, Heimweh?"
"Heimweh?, nein! Die Inflation." Ich weiß auch nicht warum, aber ich ich erzählte der Pachulke die ganze Geschichte. "Ich werde nie mehr Kirschen essen können", war mein Fazit.
Die Pachulke wiegte ihren Kopf hin und her. "Da gibt es noch andere Möglichkeiten. Selber ernten, zum Beispiel. Ein Kirschbaum und man hat den ganzen Sommer was zu ernten."
"Dazu braucht man einen Garten und den habe ich nicht".
"Aber ich. Seit 20 Jahren nicht genutzt aber enorm günstig. Sie können den gerne übernehmen. Wir machen einen Nutzungsvertrag und schon können sie in diesem Jahr etwas ernten."
Das klang gut. Ich ließ mir die Adresse geben und versprach mich noch heute auf den Weg zu machen. Nachdem ich meine Einkäufe in meiner Wohnung untergebracht hatte, machte ich mich auf die Socken. Aus den paar hundert Metern, von denen die Nachbarin gesprochen hatte, wurden effektiv 7 Kilometer. Ich betrat den Kleingartenverein und sah mich unschlüssig um.
"Das Asylantenheim ist da hinten", erklärte mir ein älterer Mann, der an seinem Gartenzaun stand und mich abschätzig musterte. Ich bedankte mich für die Information, sagte aber, dass ich da nicht hinwollte.
"Ich suche die Parzelle 753"
"Hmmm, die kenne ich nicht. Vielleicht am anderen Ende."
Ich wollte mich schon bedanken, da fiel mein Blick auf ein Blechschild an seinem Zaun. Dort stand die Zahl 752.
"Moment mal, wenn ihr Grundstück die 752 ist, dann ist doch die 753 nicht weit entfernt." Ich stand direkt vor dem gesuchten Grundstück, was allerdings gar nicht als solches erkennbar war. Völlig verwildert, zugewachsen bis über die Gartenpforte. Ich drückte den Wildwuchs beiseite und da war das Schild.
"Na bitte, schon gefunden"
Der Nachbar warf mir einen finsteren Blick zu. "War einen Versuch wert", murmelte er.

Teil 3


Bei näherer Betrachtung entpuppte sich das Dornengestrüpp als Brombeeren. Armdicke Zweige lagen kreuz und quer übereinander und machten ein Durchkommen unmöglich. Die Beerensträucher wucherten bis weit über die Gartenpforte. Der Nachbar grinste wohlwissend und steckte sich seine Pfeife an.
"Da steckt viel Arbeit drin, ich würde es mir überlegen, ob ich mir so etwas ans Bein binde."
Das könnte ihm so passen, dachte ich. Nun erst recht. Ein Ruck ging durch meinen Körper, pure Entschlossenheit packte mich. Ich verabschiedete mich, machte mit meiner Nachbarin diesen Nutzungsvertrag und ging bei meinem Kumpel Ali vorbei, der einen Dönerladen betreibt und lieh mir ein Dönermesser aus. So ausgestattet machte ich mich ans Werk. So ein Dönermesser hat viel Ähnlichkeit mit einer Machete und so begann ich die Brombeeren auszumerzen. Nun kamen zwei Faktoren zusammen, die ich nicht richtig einzuschätzen vermocht hatte. Zum einen meine körperliche Konstitution und zum anderen die unglaubliche Widerstandskraft der Brombeeren. Kurz gesagt: mir lief der Schweiß bereits nach 5 Minuten und ich hatte kaum etwas geschafft. Am liebsten wäre ich einfach nach Hause gegangen aber mein Ruf stand auf dem Spiel. Der Nachbar hatte es sich mit seinem Liegestuhl am Gartenzaun gemütlich gemacht und wartete nur darauf, dass ich zusammenbrechen würde und den Gefallen konnte ich ihm nicht tun. Also Zähne zusammengebissen und tapfer weitergemacht. Zum Glück dämmerte es und ich machte mich auf den Weg nach Hause bevor die Nacht hereinbrach. Es würden harte Tage auf mich zukommen.
Und die begannen bereits am nächsten Morgen als ich mit unglaublichem Muskelkater erwachte. Ich nahm ein Entspannungsbad und ließ den Tag geruhsam angehen. Die Beschwerden ließen relativ schnell nach und so machte ich mich dann doch auf den Weg um im Garten Fakten zu schaffen.
Zum Glück war es etwas kühler als gestern und ich nahm das Dönermesser zur Hand, band mir ein Schweißband um die Stirn und ging systematisch gegen die Brombeeren vor. Meter um Meter drang ich weiter aufs Gartengelände durch. Das Grundstück sollte laut Vertrag 500 Quadratmeter umfassen. Ging es so weiter, war ich in einer Woche fertig.
Auf halber Strecke kam ich an eine völlig zugewucherte Laube. Nachdem ich sie freigelegt hatte und eintrat, brach ich durch den völlig morschen Fußboden. In den Fenstern waren keine Scheiben mehr, zahllose Tiere mussten diese Laube schon als ihre Höhle genutzt haben. Also abreißen.
Der Nachbar hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, mich permanent zu beobachten. Mittlerweile hatte er sich einen regelrechten Beobachtungsposten eingerichtet und nach und nach gesellten sich weitere Leute dazu. Sie kommentierten einfach alles und fast immer in eine hämische, negative Richtung.
Für mich Ansporn genug es denen zu zeigen. Das Wetter spielte mit, das Grundstück war freigeräumt und ich war stolz auf meine Leistung.
Allerdings glich der Garten nun einer Kampfarena. Die Brombeeren waren ja auch nicht weg, sondern nur deren oberirdische Ausläufer. Bald würde die Vegetationsphase beginnen und alles innerhalb kürzester Zeit wieder zuwuchern. Also einen Spaten gekauft und mühsam das Grundstück umgegraben. Wurzel um Wurzel grub ich aus und schaffte es sogar eine ebene Oberfläche hinzubekommen. Die Zuschauerränge wurden immer schweigsamer und ich immer euphorischer.



Fortsetzung folgt

Teil 4


Nun war es März und höchste Zeit meinen Kirschbaum einzupflanzen. In der Mitte des Gartens sollte er stehen und ich durchsuchte das Internet nach entsprechenden Bäumen. Süßkirschen sollten es sein und der Baum bereits so groß, dass ich in diesem Jahr ernten konnte. Meine Wahl fiel auf einen Baum, der 3 Meter hoch war und garantiert eine üppige Ernte abwerfen würde. 198 Euro sollte er kosten. Inclusive Lieferung bis an die Bordsteinkante. Ich hob also ein Pflanzloch aus. Reichte eine Tiefe von einem Meter und ein Durchmesser von 80 cm?
Nach drei Tagen dann die Anlieferung. Ein stattlicher LKW fuhr vor und mittels Kran wurde der Baum dann an den Bordstein abgestellt. 3 Meter sind erstaunlich hoch, der Wurzelbereich stark ausgeprägt und zu groß für mein Loch. Die Ausladung der Krone war ebenfalls beachtlich. Mein Problem war, dass die Bordsteinkante gute 30 Meter von dem Punkt entfernt war, wo der Baum stehen sollte.
Also machte ich 50 Euro locker, trat an den Fahrer heran und bat ihn, den Baum doch bitte ins Pflanzloch zu hieven. Er nahm die 50 Euro und blickte Richtung Loch.
"Also ein Vorschlag zur Güte", meinte der Fahrer. "Ich mache jetzt meine Frühstückspause und sie passen ihr Loch dem Baum an. Tiefer und vor allem den Durchmesser vergrößern. In einer halben Stunde fahre ich ab. Ganz gleich wie weit sie dann sind."
Das war ein Wort. Ich nickte, nahm eilig den Spaten zur Hand und begann das Loch zu vertiefen und zu verbreitern. Dann hatte der Fahrer den Baum mittels Kran direkt über das Loch manövriert und ließ den Baum ab. Ich atmete erleichtert auf, als der Baum passgenau platziert werden konnte. Der Fahrer war freundlich genug, den Baum noch so lange in Position zu halten, bis ich die angehäufte Erde ins Loch zurück schaufeln konnte.
"So, nun muss ich aber", sagte der Fahrer und verabschiedete sich. Ich häufte unterdessen die restliche Erde um den Baum, trat sie fest und obendrauf noch eine lockere Schicht. Hoffentlich wird es nicht so schnell windig. Ein paar Eimer Wasser wurden vergossen. Das kam ja auch noch hinzu. Solange es nicht richtig regnete, musste ich gießen.
Das war also geschafft. Nun musste die Natur ihr Werk verrichten.



Fortsetzung folgt

Teil 5



Tatsächlich war der Baum angewachsen, hatte schnell Blätter und später Blüten entwickelt und ein ganzes Bienenvolk ernährt. Während sich also die Kirschen entwickelten, dezimierte ich täglich das wie aus dem Nichts kommende Unkraut. Auch die Tierwelt hatte sich wohl mit mir arrangiert. Der Nachbar betrachtete die Lage mit schwer enttäuschter Mine. Ich war nicht wie von ihm erhofft gescheitert. Doch er fand natürlich wieder ein Haar in der Suppe.
"Also, an ihrer Stelle würde ich etwas gegen die Stare unternehmen. Sobald die Kirschen so weit sind, fressen die ihnen alles weg. Das geht ruckzuck."
Da hatte er wohl recht. Das Bewachen des Baums hatte nun also höchste Priorität. Aber ich konnte kaum von morgens bis abends im Garten sein. Ich organisierte mir also eine menschenähnliche Puppe zum aufblasen. Eine Art unkonventionelle Vogelscheuche. Doch die Vögel trainierten offenbar ihre Zielgenauigkeit und kackten die Puppe von oben bis unten voll.
Als ich mal wieder im Garten war, kam mir der Gedanke, doch auch ein paar Erdbeerpflanzen anzusiedeln. Warum nur Kirschen ernten?
Die Pflanzen waren schnell organisiert und in den Boden gebracht. Schon bald blühten sie und versprachen eine üppige Ernte. Kaum färbten sich die Beeren rot, zeigten sich Löcher in den Früchten. Schleimspuren verrieten die Übeltäter. Schnecken! Also einsammeln und woanders - also bei Nachbarn - aussetzen. Andere Gartenfreunde hatten wohl den gleichen Gedanken, denn je mehr Schnecken ich fing, umso mehr Schnecken hatte ich im Garten. Was waren das nur für Nachbarn? Fingen ihre Schnecken und setzten sie in meinen Garten aus.



Fortsetzung folgt